Interview: „Ja, wir sind polygam unterwegs“
©Energie&Management – VON HELMUT SENDNER
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E&M: Herr Neuhaus, Ihre Presseabteilung empfahl uns ein Gespräch mit Ihnen, weil Sie das, was bei der VÜI gescheitert ist, gut darstellen könnten …
Neuhaus: (lacht) …
E&M: Gut, was haben Sie aus der VÜI gelernt?
Neuhaus: Natürlich haben wir die VÜI beobachtet, so wie wir uns ähnliche gemeinsame Initiativen von Stadtwerken anschauen. Was wir insgesamt daraus lernen ist, dass solche Initiativen nur dann erfolgreich sein können, wenn es jemanden gibt, der ins Risiko geht, Verantwortung übernimmt und auch die Gestaltung moderiert.
E&M: Die VÜI ist zumindest auch daran gescheitert, dass die Teilnehmer am Ende nichts aus der Hand geben wollten, Transparenz scheuten und lieber nach Individuallösungen suchten. Sehen Sie das auch so?
Neuhaus: Ich merke, dass es im Markt durchaus Unternehmen gibt, die Standardlösungen suchen, weil sie feststellen, dass es Skaleneffekte braucht, weil Individuallösungen enorm viel Geld und Know-how erfordern. Und wenn man sich die gewünschten Individualitäten mal genau anschaut, dann sind diese gar nicht so individuell.
E&M: Weil alle doch irgendwie das Gleiche machen müssen?
Neuhaus: Genau. Das trifft zu für die Lieferanten wie auch für die Netzbetreiber. So unterschiedlich die Interessen hier wie da auch sein mögen, innerhalb des jeweiligen Geschäftes sind die Prozesse, die es zu unterstützen gilt, sehr homogen. Und zwar in einer Art homogen, dass etwaige Unterschie de durchaus gestaltbar sind.
E&M: Da fällt mir die Thüga mit ihren rund 100 Stadtwerkebeteiligungen ein: die sind aus der VÜI ausgestiegen – ein potenzieller Kunde für Sie?
Neuhaus: Soweit mir bekannt ist, geht es dabei − wie bei anderen Unternehmen auch − um den Wunsch, Standardlösungen zu finden. Die können wir bereitstellen.
E&M: Die VÜI wurde auch deshalb gestartet, weil man nicht mehr glaubte, dass das marktbeherrschende IS-U von SAP die Markterfordernisse rechtzeitig wird decken können. Wer sich für eine Lösung von EnBW entscheidet, entscheidet sich auch irgendwie für SAP oder deren Wettbewerber Powercloud, denn Sie nutzen Abrechnungssoftware von beiden Unternehmen.
Neuhaus: Unsere Leistung ist, das, was Software-Anbieter bereitstellen, zusammenzufügen, zu optimieren und flexibler zu machen. Wir bieten also eine Plattform an und damit für jeden Anwendungsbereich die beste Lösung, indem wir das Passende einkaufen oder selbst entwickeln und das Ganze dann orchestrieren.
„Individuallösungen kosten enorm viel Geld und Know-how“
E&M: Sie sind also polygam unterwegs und veredeln dann die jeweiligen Bräute …
Neuhaus: Genau so ist es, und diese Veredelung hat einen großen Mehrwert und macht dem Nutzer richtig Spaß. Softwareunternehmen entwickeln Produkte für den Normalfall, da läuft dann alles super, und in der Theorie wäre das ganze Geschäft dann auch zu 100 Prozent automatisiert. Ist es aber nicht. Wir kennen halt die vielen Nicht-Normalfälle aus unserem eigenen Alltag.
Und da kommt der Mehrwert unserer Veredelung insofern zum Tragen, als wir diese nicht normalen Fälle digitalisieren und automatisieren. Wir sind mit vielen Millionen Kunden täglich im Kontakt und wissen, wie sie mit uns interagieren möchten. Die kennen Amazon, Youtube, ihre Online-Bank, Whatsapp und Facebook und wollen, dass wir sie in der digitalen Welt abholen. Ja, wir sind polygam unterwegs, und auf unserer Lieferantenplattform ist Powercloud der Teil, der insbesondere für die Marktkommunikation und die Abrechnung zuständig ist.
E&M: Also für das ganze Retail-Geschäft?
Neuhaus: In der Funktionalität ist es ein Teil des Retail-Geschäftes, dann haben wir noch SAP als Nebenbuch. Darüber hinaus arbeiten wir mit zahlreichen Systemen für Archive, für Outputmanagement, für Chatbots, für Automatisierungsregeln und vieles mehr.
E&M: In der Fachwelt sorgte es für Schlagzeilen, dass Sie sich bei Ihrer Lieferantenplattform gegen SAP und für Powercloud entschieden haben. Wie kann man sich die Situation vorstellen: Die Walldorfer klopfen in Karlsruhe ständig an die Tür und weisen daraufhin, dass sie dazu gelernt haben?
Neuhaus: Natürlich hat auch SAP aus den Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre gelernt und bietet mit ihrer ‚Cloud for Energy‘ neue Lösungen an. Hierfür sucht sie Unternehmen, die mit ihr zusammenarbeiten. Die SAP hat diese Initiative auch für die Retail-Seite gestartet. Da wir bereits eine bestehende Plattform haben, ist das für uns aber aktuell nicht relevant.
Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass wir in unserer Plattform eine vielteilige Architektur haben, durch die wir einzelne Bauteile wesentlich leichter austauschen können als in der Vergangenheit. Sie müssen sich das wie einen Büro-Zweckbau vorstellen, den man Stück für Stück dafür anpasst, was gerade im Markt gebraucht wird.
E&M: Diese Funktionen, den ‚Büro-Zweckbau‘, wie Sie ihn nennen, vereinen Sie unter dem Produkt ‚EnPowerX‘. Was an Personal, Umsätzen und Referenzen steckt dahinter?
Neuhaus: Die ersten Referenzen sind erst mal unsere EnBW-Marken. Hier nutzten wir die Chance, die Plattform aufzubauen und zu testen. Das war ein stufenweiser Prozess, der mit einer kleinen Marke anfing und immer komplexer wurde bis hin zur EnBW als Grundversorger mit mehreren Millionen Kunden. Damit haben wir Massenfähigkeit bewiesen und auch die Nutzbarkeit der Technologie per se.
Wir wollten Kinderkrankheiten am eigenen Leib erfahren und erst dann in die Vermarktung für Dritte gehen. In dieser Phase befinden wir uns gerade und haben aktuell 50 Unternehmen, die sich für unser Angebot interessieren.
E&M: 50 Einzelunternehmen?
Neuhaus: Ja, und zwar ernsthaft Interessierte. Wir haben dafür eine Community gegründet, in der man tiefere Einblicke in unser Angebot bekommt
E&M: Das ist dann wie beim Tennisverein: Ich bezahle eine Jahresgebühr und darf auf den angebotenen Plätzen spielen und vielleicht sogar einen Pokal gewinnen?
Neuhaus: Im Verein müssen Sie sich für diesen Pokal aber erst mal anstrengen, bei uns können Sie sich zurücklehnen und einen sehr genauen Einblick gewinnen, wie EnPowerX funktioniert und wie es in Ihr Unternehmen eingebettet werden kann. Sie bekommen viele Echt-Demos über Echt-Anwendungsfälle, es gibt Workshops, Newsletter und Community-Treffen.
E&M: Und dafür bezahle ich was?
Neuhaus: Keinen signifikanten Betrag.
E&M: Signifikant ist ein dehnbarer Begriff …
Neuhaus: Das fängt bei 400 Euro Jahresbeitrag an, wofür Sie Basisinformationen bekommen, und ist gestaffelt bis 11.000 Euro, dafür sind Sie schon in einem kleinen Projektmodus, in dem herausgefunden werden soll, wie wir unsere Lösungen in Ihr Unternehmen einbetten können.
Dabei ist es mir ganz wichtig hinzuzufügen, dass es nicht unser Geschäftsmodell ist, mit dieser Community Geld zu verdienen. Wir sind kein Beratungshaus. Es geht bei diesem Mitgliedsbeitrag und dem damit verbundenen Ver- trag darum, die Ernsthaftigkeit zu unterlegen und im weiteren Verlauf auch die Vertraulichkeit über den Erfahrungsaustausch zu sichern.
E&M: Und wer unterschreibt, kann auch mitmachen, unabhängig von der Unternehmensgröße?
Neuhaus: Es kann jedes Unternehmen mitmachen, weil wir in unserem Angebot auch differenzieren, welches Geschäftsmodell zu welchem Unternehmen passt; es geht um die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer gewissen Automatisierung. Und auch darum, dass die Kleinen von dem profitieren können, was wir für die Großen anbieten.
E&M: Noch mal die Frage, was hinter EnPowerX steckt: wie viele Personen, eine geschlossene Truppe, der ganze Konzern?
Neuhaus: Moralisch der ganze Konzern, operativ sind es agile Projektstrukturen mit einer Manpower von einer gut dreistelligen Anzahl von Personen.
„Wir kennen die vielen Nicht-Normalfälle aus unserem eigenen Alltag“
E&M: Und die generieren tatsächlich Umsätze, die im Konzern bilanziert werden?
Neuhaus: Ja, wir sind heute schon Anbieter von Software-as-a-Service- und BPO-Dienstleistungen. Wir stellen im Geschäftsfeld von EnBW Operations Plattformen und Abwicklungsdienstleistungen zur Verfügung und haben da einige Dutzend Plattform-Kunden auf der bisherigen Technologie. Der letzte live gegangene Kunde ist die Gasnetz Hamburg.
E&M: Ganz theoretisch: Könnte Eon ein Kunde von Ihnen sein?
Neuhaus: Über diesen Kunden würden wir uns freuen, aber die bauen gerade ihre eigene Plattform.
E&M: Das wissen wir, aber eben theoretisch, könnten Sie diese Größenordnung bewältigen?
Neuhaus: In Summe über mehrere Energieversorger hinweg könnten wir das Volumen von Eon stemmen. In unserem externen Geschäft haben wir schon heute über drei Millionen Kunden, die über unsere Plattformen abgewickelt werden. Ist Ihre theoretische Frage damit beantwortet?
E&M: Durchaus, und was fehlt Ihnen damit noch zu Ihrem Glück?
Neuhaus: Mehr Unterschriften.
E&M: Also Kunden.
Neuhaus: Ja. Es gibt viele Interessenten, allerdings tauscht man in diesen Prozessen sehr viele Informationen aus. Es geht schließlich um sehr geschäftskritische Prozesse. Somit entsteht eine sehr große Vertrauensfrage in einen Dienstleister, in seine Fähigkeit des Mitdenkens, Mitwirkens und Mitgestaltens. Dazu muss man die gegenseitigen Geschäftsmodelle, die Umgebung und die Motivation der Partner verstehen. Das sind Prozesse, die dauern wenn es ganz schnell geht sechs Monate, im Schnitt aber eher eineinhalb Jahre vom ersten Kontakt.
E&M: Was erwarten Sie von Ihren Partnern wie Powercloud und SAP?
Neuhaus: Dass sie ihre Software mit uns so weiterentwickeln, dass sie optimal in unsere Umgebung einzupassen ist. Was uns auszeichnet: Wir orientieren uns an der Frage, was das Geschäft benötigt und leiten daraus die Prozesse und IT-Anforderungen ab.
E&M: Das klingt durchaus logisch.
Neuhaus: Ist aber leider die Ausnahme, denn Softwareanbieter können das eher nicht, weil sie das Geschäft nicht so gut kennen.
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